20 Jahre Selbständigkeit (Teil 6): Die verlorene Verbindung

Ich war ein sensibles Kind. Offen, neugierig und frei. Ich erinnere mich, leider nur vage, an die Lebendigkeit, die ich spürte, als ich die Welt noch mit allen Sinnen wahrnahm und alle Fenster des Wissens – Denken, Wahrnehmen, Fühlen, Imagination – offen waren: das Denken wach, neugierig und offen für spontane Eingebungen, das Wahrnehmen und Entdecken mit allen fünf Sinnen, das Fühlen aller Stimmungen, Frequenzen und Emotionen, die Imagination lebendig und ohne Grenzen.

Doch schon bald wurde meine weite Welt des Lernens und Wissens stark reduziert und schrumpfte auf das Verstehen durch logisches Denken zusammen, das mir vorgegeben wurde. Manchmal entdeckte ich ein bisschen von der Weisheit, nach der ich mich so sehr sehnte, in der Mathematik, in der Literatur, in der Kunstgeschichte, in der Musik oder beim Betrachten von Kunst. Aber es war nie ein Thema, wie ich selbst Zugang zu dieser Weisheit finden könnte. Was für eine Enttäuschung! Ich hatte mich so auf die Schule und das Lernen gefreut.

Jahrelang versuchte ich, mich in dieser Enge zurechtzufinden. Mühsam zu lernen, was andere schon herausgefunden hatten. Angestrengt auszuhalten, dass ich selbst keinen Zugang hatte zu den unendlich vielen Informationen, die durch alle Fenster des Wissens zugänglich gewesen wären. Als ich die Schule nach zwölf langen Jahren verliess, war ich endlich frei, selbst zu wählen. Fühlte mich aber auch allein und verloren. Doch mein Wissen durch Fühlen führte mich – mit viel Liebe, Geduld und Präzision – zurück in die Ganzheit. Immer auch begleitet von dem kleinen bisschen Intuition, das noch übriggeblieben war und langsam wieder wachsen durfte.

Es begann mit der Wiederverbindung mit dem Körper und seiner Weisheit, vertiefte sich durch das bewusste Zulassen des Fühlens und Verstehenlernen, was ich da alles spüre – in mir und um mich herum – und wie ich damit umgehen kann. Ich begann, das Denken nicht nur als linear-logischen Prozess zu verstehen, sondern lernte, den Kanal für spontane Eingebungen offen zu halten.

Schliesslich kam die für mich heilsamste Wiederverbindung: mit der verlorenen Imagination. Ich hatte mich mit viel Härte mir selbst gegenüber von ihr getrennt, weil sie mir als Kind erheblich im Weg stand. Damals wollte ich den Alltag, dem es an Magie mangelte, etwas abenteuerlicher, magischer und lebendiger machen, indem ich Dinge so erzählte, dass es interessant wurde. Aber das kam nicht gut an. Immer wieder sagten andere Kinder zu mir, dass ich lüge. Das war sehr schmerzhaft. Also habe ich mir diese Lebendigkeit abgewöhnt und damit viel verloren, was mein Leben schön und lebenswert gemacht hatte.

Ich musste lange durchhalten, bis mir die Gabe und die Kraft der Imagination klar wurde. Manchmal denke ich wehmütig, dass aus mir eine gute und weise Geschichtenerzählerin hätte werden können, wenn jemand mir erklärt hätte, wie ich meine lebendige Imagination und mein Wissen durch Fühlen geschickt nutzen kann. Doch vielleicht hätte ich dann nie die tiefe Imagination (Deep Imagery/Personal Totem Pole Process®) und den Weg zu dieser unendlich tiefen Weisheit gefunden und mich nie mit ihr wiederverbinden, heilen und nach Hause finden dürfen – zu mir und zu einem Leben, in dem ich wirklich zu Hause bin, in einer Welt, die ich mit allen Sinnen und über alle Fenster des Wissens entdecken kann. Genauso wie ich es auf ganz natürliche Weise schon als Kind getan habe, dies aber für das Leben in der Schule und in einer auf das rationale Denken ausgerichteten Gesellschaft aufgegeben hatte.

Parallel zu meiner Wiederverbindung mit der Imagination – meinem letzten Fenster des Wissens – fing ich wieder an, mich intensiver mit dem Thema Trauma zu beschäftigen. Immer wieder las und hörte ich: Das Herz des Traumas ist die verlorene Verbindung zu sich selbst. Ich begann das Onlinetraining «Compassionate Inquiry» mit Gabor Maté und entdeckte, dass es für die Heilung all der vielen Krankheiten und Symptome, die unter dem Begriff Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) eingeordnet werden, Wiederverbindung braucht. Wiederverbindung mit all den Teilen, die bekämpft und abgelehnt, nicht gesehen, nicht angenommen, nicht genährt und darum abgespalten wurden. Dieses Wiederverbinden nenne ich erinnern. Und ich bleibe dran, mich an das zu erinnern, was meine Seele schon weiss. Für mich selbst und für meinen Beitrag an diese Welt.

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