Erfolg und das innere Kind

Ein Klient* kommt zu mir. Er will mit seinem Business endlich durchstarten und herausfinden, ob Glaubenssätze oder unbewusste Emotionen ihn daran hindern, mit voller Kraft vorwärtszugehen. Um warm zu werden, reden wir ein bisschen über das Thema und die Beziehung meines Klienten zu seinem Business. Danach bitte ich ihn, sich auf seinen Körper zu konzentrieren und zu spüren, was dort präsent ist. Er sagt, dass er spüre, wie sehr er sich freuen würde, wenn das Geschäft laufen würde. Weil seine Stimme dabei nicht einfach froh und leicht klingt, sondern etwas belegt wirkt, frage ich ihn, ob er diese Zurückhaltung ebenfalls wahrnehmen könne. Er kann, und er ist bereit, seine Aufmerksamkeit dorthin zu lenken. Dabei entdeckt er einen traurigen Teil von sich, der sagt: «Ich will nicht, dass du erfolgreich wirst.» Ich leite meinen Klienten an, seine Aufmerksamkeit weiterhin dort zu halten, wo er diesen Teil wahrnimmt, und ihn zu fragen, warum er nicht will, dass er erfolgreich wird. Aus seinem Inneren hört und spürt der Klient die Antworten: «Weil du sonst arrogant wirst, weil du dich dann verlierst und ich ganz allein bin. Du musst bei mir bleiben!» Als er den letzten Satz sagt, klingt seine Stimme jung und traurig.

Ich frage meinen Klienten, wie alt dieser Teil von ihm ist, und er sieht sich sofort als etwa 12-jährigen, traurigen Jungen. Dieser hat die Prüfungen für den Übertritt in die Sekundarschule nicht geschafft. Alle seine Freunde werden in die Sekundarschule gehen, und der Junge fühlt sich sehr allein. Er kann mit niemandem über seine Gefühle sprechen. Seine Eltern können ihm nicht helfen, weil sie seine Trauer nicht aushalten, und sonst ist niemand da. Er schämt sich und glaubt, dass etwas mit ihm nicht stimmt.

Als mein Klient Zugang zum Elend seines inneren Jugendlichen bekommt, berührt ihn das tief. Er weint und lässt es zu. Er gibt der Traurigkeit und der Einsamkeit seines inneren Jugendlichen die Möglichkeit, sich zu zeigen und auszudrücken. Er stellt sich vor, wie er als Erwachsener für diesen Jugendlichen da ist und ihn fragt, was er braucht. «Nimm mich mit», fleht der innere Jugendliche. «Lass mich nicht allein zurück. Feiere deine Erfolge zusammen mit mir, lass mich an allem teilhaben, was kommt. Nimm mich mit, dann werde ich dir eine gute Unterstützung sein.»

Langsam entspannt sich die Region des Herzens, aber bei seinem Hals nehme ich eine Spannung wahr. Mein Klient sitzt immer noch mit geschlossenen Augen vor mir auf dem Stuhl. Ich lade ihn ein, seine Aufmerksamkeit auf den Hals zu richten. Er spürt eine Enge, ein Kratzen, etwas, das raus will. Als ich ihn frage, was diese Enge sagen würde, wenn sie sprechen könnte, kommen die Worte «Es ist zum Kotzen» heraus. «Es ist zum Kotzen, dass du noch immer nicht richtig durchstartest, sondern dich ständig zurücknimmst.» Ich schlage vor, auch diesem Teil wohlwollend zu begegnen und ihm zu erklären, dass er in seinem Herzen einen inneren Jugendlichen habe, der ihn zurückgehalten habe, weil er nicht allein sein wollte, und dass er nur vorankommen könne, wenn er diesen mitnehme und miteinbeziehe. Die verurteilende Stimme im Hals verstummt. Sie hatte nichts gewusst vom einsamen inneren Jugendlichen. Aber jetzt kann sie das ständige Zögern verstehen. Langsam entspannt sich nun auch der Hals meines Klienten. Auch sonst scheint die Energie in seinem Körper freier zu fliessen. Er wirkt entspannter, wacher und lebendiger. Ich bitte ihn zu schauen, ob er noch etwas braucht, doch er sagt, jetzt sei alles gut. Als er mit seiner Aufmerksamkeit wieder ganz zurück im Raum ist, lächelt er. Er hat Lust, den inneren Jugendlichen mitzunehmen. Er spürt, wie wichtig das ist.

Ja, es ist wichtig, dass wir alles, was uns ausmacht, alle Teile, die gelitten haben, die traurig, einsam, beschämt oder wütend sind, mitnehmen und unsere Freude und Erfolge mit ihnen teilen. Nur so können wir ganz sein und heilen. Und vielleicht sind wir dann auch Inspiration für eine Gesellschaft, in der diejenigen, die Erfolge feiern, auch an jene denken, die gerade an einem anderen Punkt im Leben stehen, an dem sie traurig sind und nicht zurückgelassen werden wollen.

* Ich habe meinen Klienten selbstverständlich um Erlaubnis gebeten, diese Geschichte erzählen zu dürfen. Mein Dank gilt ihm und allen anderen, die mutig genug sind, mit allem, was sie sind und was sie ausmacht, in Beziehung zu treten.

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