Wir sind Teil der natürlichen Welt
Immer wieder zeigt sich in Sitzungen ein Zusammenhang zwischen der verlorenen Verbindung zum Selbst und der verlorenen Verbindung zur Natur. Führende Traumaexperten und -expertinnen sagen, dass die verlorene Verbindung zum Selbst die Essenz jedes Traumas ist. Wenn ich mir das in Erinnerung rufe, wird mir noch bewusster, wie wichtig es ist, die oft unbewusste Sehnsucht nach (Wieder-)Verbindung mit der natürlichen Welt und ihren Kräften ernst zu nehmen.
Zwei Beispiele:
Eine Klientin kommt zu mir und erzählt, dass sie oft neben sich stehe und sich und ihre Bedürfnisse nicht spüre. Wir wollen zusammen herausfinden, wann sie das letzte Mal ganz bei sich und mit sich verbunden war und was danach passiert ist. Im entspannten Zustand sieht die Klientin sich als junge Frau im Wasser schwimmen. Sie fühlt sich mit sich, aber auch mit ihrer Umgebung verbunden. Sie spürt das Wasser, die Luft, erfreut sich am Himmel und an der Natur. Sie ist entspannt und glücklich. Sie sagt: «Hier brauche ich keine Schutzmauer, weil die Stärke genügt, die ich in dieser Verbundenheit mit mir und der Natur, die mich umgibt, spüre.»
Als ich sie anleite, in ihrem Inneren zu schauen, was danach passiert ist, erlebt sie, wie sie sich immer seltener in der Natur und noch seltener in intakter, wilder Natur aufgehalten hat. Damit verlor sie mehr und mehr auch sich selbst. Sie spürt nun eine tiefe Sehnsucht nach einer Wiederverbindung mit der natürlichen Welt, in der sie sich selbst sein darf, in der alles langsamer und in einem natürlichen Rhythmus geschieht, in der sie den Wind, das Wasser, Tiere und sich selbst hören kann. Sie sehnt sich nach einer Pause vom nervenzehrenden Lärm durch vorbeidonnernde Autos, Flugzeuge und laut knatternde Baumaschinen. Sie sehnt sich nach Grün statt Beton, nach Lebendigkeit und nach Spüren statt Denken und Organisieren. Sie weiss jetzt, was sie braucht, aber die Umsetzung wird eine Herausforderung.
Eine andere Klientin erzählt in ihrer dritten Sitzung bei mir, dass sie sich immer wieder frage, wo sie eigentlich hingehöre. Ich schlage vor, ihr Unterbewusstsein zu fragen, das die Antwort sehr wahrscheinlich kennt. Im entspannten Zustand erinnert sie sich an einen Ort in der Natur, den sie gerne zur Erholung aufsucht, egal ob bei Sonnenschein oder Regen. «Hauptsache, es ist lebendig», sagt sie. Auch sie spürt, wie sie umgeben von der Natur langsamer werden und das Denken zur Ruhe kommen darf. Auch sie fühlt sich umgeben von der Natur verbunden mit sich selbst. Und vor allem fühlt sie sich hier zu Hause.
Nachdem ich ihr Zeit gelassen habe, diesen Ort mit allen Sinnen zu entdecken und darauf zu achten, was genau es ist, das sie sich dort zu Hause fühlen lässt, sagt sie, dass ihre Perspektive sich jetzt komplett umdrehe: «Vorher war ich in der Stadt zu Hause und ging in die Natur, um mich zu erholen. Aber eigentlich ist es umgekehrt. Mein Zuhause ist die Natur, und ich lebe mit meiner Familie in der Stadt, um dort zu arbeiten.» Vieles wird nun klarer, und wir spüren beide, dass das der Beginn eines neuen Selbstbewusstseins ist, das ihr Leben nun Schritt für Schritt verändern darf.
Das sind nur zwei von vielen ähnlichen Sitzungen, die zeigen, wie essenziell die (Wieder-)Verbindung mit der Natur und das Sorgetragen zur natürlichen Welt mit all ihren Bewohnerinnen und Bewohnern für die körperliche, geistige und seelische Gesundheit des Menschen ist. Und das Wohlbefinden einer Person hat immer auch Auswirkungen auf all jene, die sie umgeben – und somit auch auf die ganze Gesellschaft.