Direkte Beziehungen (zweiter Teil)

Falls du mit dem ersten Beitrag zum Thema direkte Beziehungen anfangen möchtest: Du findest ihn hier.

Viele versuchen, ihre Emotionen zu kontrollieren, manche verdrängen sie, andere reden über sie, die meisten reden aber nicht direkt mit ihnen.
Und du? Sprichst du mit deinen Emotionen? Fragst du sie, seit wann sie da sind? Warum sie da sind? Was sie brauchen? Hörst du ihnen zu? Erzählst du ihnen, wie es dir mit ihnen geht?

Wut
Eine taffe Abteilungsleiterin einer grossen Firma kommt zu mir. Sie möchte lernen, ihre Wut zu kontrollieren. Ich erkläre ihr die Möglichkeit, direkt mit der Wut in Kontakt zu treten, und sie ist einverstanden. Ich helfe ihr, sich zu entspannen und sich auf ihre Wut zu konzentrieren. Es zeigt sich ein grimmiger, bösartiger Hund. Sie hat Angst vor ihm und sagt ihm das, worauf der Hund ganz betroffen ist. Sie ist tief bewegt von seiner Betroffenheit und sagt es ihm. Der Dialog findet innerlich, in ihrer Imagination statt, und gleichzeitig berichtet sie mir, was vor sich geht, damit ich sie begleiten kann, wenn es schwierig werden sollte.
Ich schlage vor, dass sie den Hund fragt, ob es etwas gibt, was er ihr erzählen wolle. Sie stellt die Frage und wartet offen und bereit, mit allen Sinnen zuzuhören, auf die Antwort, als eine Erinnerung aus ihrer Kindheit auftaucht. Ständig wird sie zurechtgewiesen. Von den älteren Geschwistern und von den Eltern. Nie kann sie etwas recht machen. Eines Tages wird sie so richtig wütend und wehrt sich. Alle sind erstaunt und erschrocken – und hören ihr endlich zu. Sie sieht, wie das Muster sich weiterentwickelt hat, und dass die Wut immer dann kommt, wenn sie Angst hat, nicht gehört oder zurechtgewiesen zu werden.
Sie bedankt sich bei dem Hund, dass er ihr diese Erinnerungen und Zusammenhänge gezeigt hat. Und sie sagt ihm, dass sie jetzt sehen könne, wie ihre Wut ihr dabei geholfen habe, sich Gehör zu verschaffen. Sie sagt aber auch, dass sie nun andere Möglichkeiten habe, damit umzugehen, wenn sie mal zurechtgewiesen werde, und dafür zu sorgen, dass andere Menschen ihr zuhören. Sie brauche die Wut nicht mehr dafür. Der Hund ist nun nicht mehr grimmig oder betroffen, sondern ein treuer Begleiter. «So, wie man sich Hunde eigentlich vorstellt», sagt die Klientin. Er glaube ihr, dass sie es jetzt anders könne. Sie ist sehr berührt von seinem tiefen Vertrauen in sie. Sie gibt diesem heilsamen Gefühl Raum und spürt, dass der Hund immer noch auf sie aufpassen will, aber akzeptiert, dass sie sich nun auf andere Art und Weise Gehör verschaffen kann.

Angst
Ein junger Mann leidet unter Ängsten, die er nicht einordnen kann. Ich schlage vor, dass wir mit der Angst Kontakt aufnehmen und sie kennenlernen. Anfangs ist er skeptisch. Aber dann stellt er sich mutig auf die Matte, die ich für seine Angst hingelegt habe, und spürt in seinen Körper. Er spürt Enge. Er spürt, dass er Angst hat zu sagen, was er wirklich fühlt und denkt. Er spürt Worte in sich aufsteigen und sagt dann: «Ich habe Angst, dass ich ganz allein sein werde, wenn ich sage, was ich wirklich denke und fühle. Ich habe Angst, dass ich zurückgewiesen und bewertet, ausgegrenzt oder sogar umgebracht werde wegen dem, was ich denke und fühle.» Er ist etwas erschrocken über seine Worte, aber auch erleichtert, dass es jetzt raus ist.
Seither nimmt er immer wieder Kontakt auf mit seiner Angst. Von ihr lernt er, welche Gefühle und Gedanken er versteckt und zurückhält. Langsam fängt er an, seine ganz eigene Sicht auf seine Erfahrungen und die Welt zu akzeptieren, sein Denken zu verstehen, seine Gefühle zu integrieren, seine Wünsche zu beachten und schrittweise nach aussen zu tragen. Einmal sagt er: «Früher war die Angst meine Gegnerin, heute lerne ich viel von ihr. Ich kann ihr aber auch mal sagen, dass es sie hier nicht braucht. Dann entspannt sie sich. Sie vertraut mir irgendwie.»

Freude
In einer Körperarbeit-Sitzung spürt eine Frau, dass sie ihre Freude unterdrückt. Gleich darauf sieht sie sich bei der Arbeit. Sie spürt, dass sie Angst hat, nicht ernst genommen zu werden, wenn sie ihre Arbeit mit zu viel Freude macht. Sie habe ja eine ernst zu nehmende und verantwortungsvolle Arbeit, da dürfe sie nicht zu viel Freude daran haben. Die Freude zeigt der Frau jedoch, dass ihre Arbeit durch sie noch leichter, kraftvoller und besser wird. Es braucht Zeit, bis die Klientin der Freude vertraut. Sie hat Vorurteile, aber in Kontakt mit der Freude, die sie als wärmende Sonne wahrnimmt, kann die Klientin diese mehr und mehr abbauen. Und langsam lässt sie die Freude mehr und mehr in ihr Leben – ohne dass die Qualität ihrer Arbeit leidet. Im Gegenteil.

Vielleicht geben diese Erfahrungen dir den Mut, ebenfalls mit deinen Emotionen Kontakt aufzunehmen und in Beziehung mit ihnen zu treten. Auch wenn es dir zu Beginn komisch vorkommt, deine Wut, deine Angst, deine Freude oder deine Traurigkeit zu begrüssen. Wenn es alleine schwierig ist, suche dir Begleitung. Körperarbeit, Tiefenimagination und Aufstellungen können dabei helfen.

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