Einzigartig

Eins der grössten Hindernisse, um unser Potenzial zu leben, ist der Schmerz, nicht als einzigartiges Wesen mit einzigartigen Fähigkeiten erkannt oder zumindest gesehen zu werden. Jedes Wesen möchte am Grunde seines Seins in seiner Einzigartigkeit gespiegelt und erkannt werden, weil wir dort am schönsten, am kraftvollsten, am zentriertesten, am meisten bei uns und somit auch am meisten in der Welt sind.

Die meisten Menschen, denen ich begegne, werden gar nicht oder nur unvollständig gesehen. Nur mit ihren Stärken oder nur mit ihren Schwächen. Nur dort, wo sie in die Umgebung passen, oder nur dort, wo es gar nicht passt. Dieses Nicht- oder Nur-halb-gesehen-Werden verhindert unsere Ganzwerdung und unsere gesunde Potenzialentfaltung, weil besondere Fähigkeiten unbewusst bleiben. So manche einzigartigen Gaben werden von anderen und von uns selbst übersehen, weil jedes Talent nur in der richtigen Umgebung und zum richtigen Zeitpunkt als Stärke in Erscheinung tritt. Nur wer grosses Glück hat, wird in seiner Einzigartigkeit erkannt und unterstützt. Das sollte allerdings nicht die Ausnahme sein.

Forsche ich mit meinen Klientinnen und Klienten nach den Geschichten, die sie gelehrt haben, dass ihre einzigartigen Gaben eher ein Problem als ein Talent sind, dann finden wir oft begnadete Geschichtenerzählerinnen, die Lebendigkeit und Magie in das Leben der Menschen bringen wollen, denen als Kind aber gesagt wurde, dass sie lügen. Wir finden Menschen, die sich der Natur zutiefst verbunden fühlen, diese schützen und gut zu ihr schauen wollen, die als Kind aber sehnsüchtig aus dem Fenster schauen mussten, anstatt draussen zu spielen, in der Natur sein zu dürfen und von ihr zu lernen. Wir finden Menschen, die voller Liebe und Verständnis für die Verletzlichkeit hinter einem gemeinen Verhalten sind, was aber nicht als Stärke erkannt wurde, weil sie sich nicht wehren konnten. Immer wieder tauchen Menschen mit besonderen Fähigkeiten bei mir auf, die sich nach einigen Sitzungen zu erinnern beginnen, wie sie irgendwann in ihrem Leben verstanden haben, dass sie sich zurücknehmen oder ändern müssen, wenn sie grössere Probleme, Bestrafungen und Zurückweisung vermeiden wollen. Kurz: Sie haben das zweite Versprechen abgelegt.

Hast du auch schon erlebt, dass deine Einzigartigkeit eher ein Problem als ein Talent ist?

Werden einzigartige Fähigkeiten nicht als solche erkannt, vielleicht schlicht, weil sie zum falschen Zeitpunkt oder am falschen Ort auftauchen, können sie sich nicht wirkungsvoll entwickeln und somit auch zur richtigen Zeit oder in der richtigen Umgebung nicht als Stärken in Erscheinung treten. Immer wieder erlebe ich verunsicherte Erwachsene, die sich fragen, warum ihnen gewisse Dinge schwerer fallen als anderen. Das klingt dann zum Beispiel so:
Klientin: Warum kann mir das nicht einfach egal sein?
Ich: Weil dir Gerechtigkeit, Menschlichkeit, Respekt oder Freude im Leben einfach zu wichtig sind. Und das darf so sein!
Klientin: Ja, aber es macht mein Leben schwieriger.

Ja, es macht unser Leben schwieriger, wenn wir unsere heiligen Einzigartigkeiten, unsere Verbundenheit mit anderen, mit Tieren und der Natur zulassen, weil wir dann merken, dass vieles nicht so läuft, dass es gesund für alle ist. Und genau hier fängt es an, spannend zu werden. Denn hier können wir die Tür zur Berufung finden. Dort, wo wir am meisten leiden, liegt oft unsere grösste Stärke. Und darum ist es nicht immer hilfreich, ein Leiden zu lindern, bevor die heilsame Botschaft dahinter entschlüsselt wurde.

Wir müssen dringend eine Welt schaffen, in der alle einzigartigen Fähigkeiten ihren Platz haben und sich entfalten dürfen. Eine Welt, in der die Pflegerin ihr Mitgefühl und ihre Liebe einbringen darf und nicht als schwach abgestempelt wird, wenn sie wegen Stress und mangelnden Möglichkeiten für Menschlichkeit in der Pflege leidet. Eine Welt, in der die Vorgesetzte aufmerksam zuhören darf und keine Angst haben muss, dass sie nicht befördert wird, weil sie zu weich ist. Eine Welt, in der Platz ist für Visionen, für helles Fühlen, Sehen und Wahrnehmen, für Menschenliebe, tiefe Tierfreundschaft und Naturverbundenheit, für Kreativität und für besondere Talente wie das Erzählen von Geschichten, das Kreieren von Tänzen, das Heilen mit Energie oder das Schaffen von gesunden Umgebungen.

Um den Schmerz zu vermeiden, weder erkannt noch ganz gesehen zu werden, werden jene Facetten, die so sehr zu uns gehören, die uns am meisten ausmachen, schon früh im Leben versteckt, verdeckt, vergessen und unterdrückt. Es braucht Mut, sich dieser Anteile bewusst zu werden und sich mit dem zu zeigen, was von anderen ignoriert, nicht ernst genommen oder getadelt wurde.

Ich habe Jahre gebraucht, um zu meinen sensitiven Fähigkeiten zu stehen, um zu lernen und damit umzugehen, dass manche Menschen diese nicht ernst nehmen – schon gar nicht, wenn ich keinen Doktortitel habe. Aber ich erlebe, wie wichtig es ist, zu meiner Einzigartigkeit zu stehen. Denn je mehr ich mir und meinen besonderen Fähigkeiten erlaube, sich zu entfalten, desto mehr kommen Freude und Magie in mein Leben, und ich kann meine Klientinnen und Klienten, Paare und Teams noch besser dabei unterstützen, ihre einzigartigen Fähigkeiten zu erkennen, zu entfalten und ihren ureigenen Platz in dieser Welt einzunehmen. Dabei geht es immer in irgendeiner Weise darum, den Mut zu haben, an eine gute Welt zu glauben, von der das offene Herz schon immer gewusst hat. Das freut mich am meisten, und ich kann mit Gewissheit sagen, dass die meisten Menschen am Grunde ihres Seins gut und gesund sind – wenn man ihnen erlaubt, ihr tiefstes Wesen zu entdecken, zu erleben und auf einzigartige Weise zum Ausdruck zu bringen.

Kontakt

Share This