Lieb sein

«Sie muckt nicht auf, auch wenn es mal weh tut, er ist tapfer und hält durch. Sie sind bescheiden, angenehm und lieb. » So hört man zuweilen Menschen über andere Menschen reden.

Immer wieder kommen Menschen zu mir in die Praxis, denen beigebracht wurde, lieb zu sein. Leider ist damit nicht gemeint, dass sie gelernt haben, wie sie auch in widrigen Zeiten ein offenes, liebendes Herz haben und liebevoll handeln können. Sei lieb, hat geheissen, still zu werden, Worte hinunterzuschlucken, nichts zu sagen, unsichtbar zu werden, Impulse und Gefühle im Körper einzufrieren und ein liebes Kind zu sein ohne eigene Meinung, ohne rebellische Kraft, die so vieles verändern könnte, ohne Ecken und Kanten. Lieb halt. «Sie oder er ist sooo lieb», heisst es, wenn man still erledigt, was gefragt ist. Aber keiner meint das offene, liebende Herz, sondern immer, dass das Kind gut darin ist zu gehorchen und die Wünsche anderer zu erahnen und zu erfüllen.

Wie ist das bei dir? Kennst du dieses Gefühl, es allen recht machen zu müssen, selbst aber keine Bedürfnisse anzumelden, ja diese vielleicht nicht einmal wahrzunehmen?

In diesem Modus wird die Welt nicht verändert und kein Potenzial entfaltet. Wenn es gut läuft, werden die Lieben geschätzt, weil sie immer so aufopfernd und lieb zu allen sind und keine Probleme machen. Wenn es schlecht läuft, werden sie ausgenutzt, bis sie nicht mehr können. Und wenn es weder schlecht noch gut läuft, werden ihre Bemühungen als selbstverständlich wahrgenommen und weder belohnt noch verdankt. Denn sie sind ja lieb, und sie erfüllen die Wünsche anderer ja gern.

Niemand hat wirklich tiefen Respekt vor den Lieben. Und wenn sie doch mal aufmucken, ist jede und jeder erstaunt und irritiert: «Du bist doch sonst nicht so!»

Kennst du deine Bedürfnisse und Wünsche? Sprichst du sie aus? Werden sie gehört?

Manchmal meint es jemand gut mit den Lieben, und dann sollen sie sich plötzlich durchsetzen, mal ehrlich ihren Standpunkt vertreten, für sich einstehen und eine eigene Meinung haben. Sie sollen plötzlich wissen, was sie wollen und wer sie sind. Dann sind sie überfordert, weil sie erstens darin nicht geübt sind und zweitens, weil sie auch diese Erwartung erfüllen möchten, aber nicht wissen wie.

Was ist heute dein ganz persönlicher Wunsch? Es darf etwas ganz Einfaches oder etwas ganz Grosses sein. Gibt es eine Person, der du diesen Wunsch anvertrauen kannst?

Wenn diese Menschen zu mir kommen, wissen sie zu Beginn viel darüber, wie Liebsein geht. Sie wissen, was andere und die Gesellschaft von ihnen erwarten und dass es ein Problem ist, wenn es ihnen nicht gelingt, diese Erwartungen zu erfüllen, weil sie vielleicht im Stillen auch noch eigene Pläne und Bedürfnisse haben.

Schlummert auch in dir ein Wunsch, ein Bedürfnis, das aufgeweckt, gehört und gelebt werden möchte?

Hat jemand eine starke Prägung im Liebsein, geht es darum zu lernen, Liebe zu sein statt lieb zu sein. Das heisst, ein Leben zu führen, das einem ermöglicht, das Herz offenzuhaben und sich selbst als liebend und liebenswert zu erleben. Das bedeutet, dass es eine innere Führung gibt. Eine Stimme, die einem meldet, ob sich etwas stimmig anfühlt und man gerne etwas für jemanden tut, sich gerne mal zurücknimmt, weil es sich stimmig anfühlt, weil es den inneren ureigenen Werten entspricht und vor allem, weil es tief glücklich macht zu unterstützen, jemandem Raum zu geben und zu helfen. Da, wo es nicht glücklich macht, da, wo es sich nicht stimmig anfühlt, da wo kein Dank kommt, sondern nur Erwartung, da, wo man nicht wahrgenommen und nicht als Mensch, sondern als willkommenes Objekt gesehen wird, das für Wunscherfüllungen und Erledigungen zuständig ist, da darf man nein sagen, da darf und soll man Abstand nehmen. Es ist richtig, in solchen Momenten Menschlichkeit einzufordern und zu sagen, dass man sich unter diesen Umständen nicht einspannen lässt.

Oft müssen auf dem Weg dahin einige Glaubenssätze losgelassen werden. Zum Beispiel:

  • Ich muss alles richtig machen, um liebenswert zu sein.
  • Ich muss es den anderen recht zu machen, damit sie mich mögen.
  • Ich darf nicht gross sein, sonst werden andere neidisch.
  • Ich darf keine Probleme haben, weil diese andere stören könnten.
  • Wenn ich nicht lieb bin, dann mag mich niemand oder ich werde abgelehnt.
  • Wenn ich nicht lieb bin, ende ich allein und einsam.
  • Wenn ich nicht lieb bin, werde ich verlassen.
  • Wenn ich nicht lieb bin, werde ich bestraft.

Was sind deine Glaubenssätze, die du über das Liebsein bzw. über das Liebenswertsein hast?

Das Wichtige dabei ist für mich als Coach und Körpertherapeutin, dass ich den Menschen nicht auch noch sage, wie sie sein sollen, sondern dass ich ihnen helfe, selbst zu spüren, was sich stimmig anfühlt und was sie brauchen, damit sie sich andern und sich selbst gegenüber liebend und respektvoll erleben.

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