Heilsame Natur

Der Schmerz sass tief. Abschied und Einsamkeit. Dann aber hörte ich den Gesang eines Vogels. Der Himmel spiegelte sich in einer Pfütze und der Wind strich durch mein Haar. Die Welt schien in Ordnung, und langsam konnte heilen, was sich tief in mir verwundet anfühlte und schrecklich schmerzte.

Nachdem sich meine erste grosse Liebe von mir getrennt hatte, nahm ich zum ersten Mal bewusst wahr, dass es nicht nur heilsam ist, sich daheim einzuschliessen, zu malen, zu singen, Musik zu hören, mit Freundinnen zu reden, zu weinen, zu lesen oder zu tanzen. Heilsam war auch, mich der Natur zuzuwenden, dem Regen zu lauschen, die Sonne auf der Haut zu spüren, dem Rauschen des Windes zuzuhören, die Blumen zu begrüssen, Tautropfen zu bewundern, vorbeiziehende Wolken zu bestaunen oder Schmetterlingen beim Flug zuzusehen.

Seither nutze ich diese Medizin bewusst. Unzählige Male habe ich Linderung, Heilung, Erlösung und Frieden im Kontakt mit der Natur gefunden. Auch in meiner Arbeit ist die heilsame Natur präsent.

Eine Frau begibt sich auf Imaginationsreise. Sie nimmt ihren Schmerz mit in den Wald. Sie fühlt sich magisch angezogen von den kleinen weissen Blüten, die auf dem weich gepolsterten Moos wachsen. Lange schaut sie diese Blumen an. Plötzlich wird ihr bewusst: Diese Blumen blühen jedes Jahr. Kurz darauf spürt sie ein tiefes Vertrauen in das Leben. Auch sie wird wieder blühen, wenn es Zeit dazu ist. Diese Gewissheit gibt ihr die Kraft, die sie braucht, um zu trauern, weiterzugehen, zu heilen, zu wachsen und dem neuen Blühen entgegenzustreben.

Ein grosser, starker Mann schluchzt. Er ist niedergeschlagen und erschöpft. Er hat einen Fehler gemacht. Er schämt sich und fühlt sich allein. Als er draussen den Gesang eines Vogels vernimmt, hört er ihm zu und fühlt sich nicht mehr allein. Er hört einen zweiten Vogel. Plötzlich lächelt er und denkt: Ein dummer Vogel war ich. Und fühlt im selben Moment, dass es nie zu spät ist, dass aus einem dummen Vogel ein weiser Vogel wird. Als Kind war sein Lieblingstier der Adler. Daran denkt er jetzt und beschliesst, von seinem wiederentdeckten Krafttier zu lernen.

Solche und ähnliche Erfahrungen sind einer der Gründe, warum mir der Schutz der Natur so am Herzen liegt. Alle, die an der Gesundheit der Menschen interessiert sind, sollten sich auch für die Gesundheit der natürlichen Welt einsetzen. Denn das eine ist vom anderen nicht zu trennen. Die Natur sucht immer das natürliche Gleichgewicht. Das sollte der Mensch ebenfalls tun. Geben und nehmen. Nicht zu viel und nicht zu wenig. Sich von der Natur heilen lassen und ihr bei ihrer Heilung helfen.

Auch schmerzhafte Naturerlebnisse können heilsam sein. Wenn wir am Schmerz der Natur teilhaben, an einem ausgetrockneten Flussbett sitzen, nur Stille hören, wo früher Vögel sangen, oder wenn wir wahrnehmen, dass kein Busch mehr wild und frei wachsen darf, sondern alles stets zurechtgestutzt wird – genau wie unsere wilde und freie Seele auch. All diese Erfahrungen sind heilsam, denn sie widerspiegeln unser eigenes Leid. Unser aus dem Gleichgewicht geratenes Leben, das an der Abkehr von der inneren und äusseren Natur, an mangelnder Seele und Magie und somit an mangelnder Lebenskraft (bei manchen auch an mangelndem Lebenswillen) leidet. Lassen wir diesen Schmerz zu, holt die Sehnsucht nach Verbindung und Lebendigkeit uns nach Hause zum Wesentlichen.

So stellen wir uns eine der wichtigsten Fragen, wenn es um Heilung und gesunde Potenzialentfaltung geht: Wie können wir uns wieder verbinden mit unserer Ganzheit und mit der Natur und somit tiefe Lebendigkeit erleben? Indem wir unsere Einzigartigkeit entdecken. Indem wir Emotionen wahrnehmen und zulassen. Indem wir der inneren und äusseren Natur unsere Aufmerksamkeit schenken und uns erlauben, unseren ureigenen Platz in der Welt einzunehmen. Den Platz, der uns schon immer gegeben war, der auf uns gewartet hat und uns dort, wo das Leben uns umarmt – zu Hause – willkommen heisst. Dort, wo wir unsere ureigene Kraft entwickeln und uns selbst und allem Totgewordenen um uns herum Leben einhauchen können.

Nichts widerspiegelt unsere Einzigartigkeit besser als eine gesunde Natur. Ohne sie vergessen wir, wer wir sind, was uns ruft, wozu wir hergekommen sind, wie wir heilen, ruhen, loslassen, uns entfalten, uns in unserer Einzigartigkeit ausdrücken und unseren Platz einnehmen können. So wie das jede wilde Blume, jede gesunde Pflanze, jeder naturbelassene See, jeder natürliche Berg und jedes freie Tier tut.

Wer in Verbundenheit mit der inneren und äusseren Natur lebt, dem fällt es leichter, ins Gleichgewicht zu kommen, einen einfacheren und umweltfreundlicheren Lebensstil willkommen zu heissen, schädliche Kompensationsmuster und Süchte aufzugeben, sich selbst und Sinn zu finden – und glücklich zu werden.

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